17 Ausgabe Kleine Beiträge zur Geschichte von Obergünzburg

17# Kleine Beiträge zur Geschichte von Obergünzburg von 1919

Diese Beiträge werden von der Heimatgemeinde Obergünzburg als gelegentliche Früchte ihrer Arbeit veröffentlicht. Sie sollen in zwangloser Folge fortgesetzt werden.


Von der Pfarrkirche

Der gut gegliederte Chor zeigt das nämliche Tuffmauerwerk wie der Turm und bildet mit diesem den schönsten Schmuck des Ortes. Er hat einen dreiseitigen vorderen Abschluss und vorspringende, zweimal abgestufte Strebepfeiler mit niederem Sockel. Deren oberes Glied zeigt einen vorgestellten Dreikant, dessen Seiten durch zwei mit Rundbogen verbundene Lisenen gegliedert sind. Unter dem Dachgesims verläuft ein Rundbogenfries, ähnlich dem des Turmes.

Das mittlere Fenster des Chors wurde im Umfang des vorigen Jahrhunderts vermauert, innen ist davon noch der obere Teil des Maßwerkes erhalten. Außen ist heute auf hohem Sockel ein römischer, dem Merkur geweihter Denkstein angebracht, der 1700 bei Grabungen in der anliegenden Straße gefunden wurde. Darüber befinden sich zwei Inschriftentafeln. Von der stark verwitterten Inschrift des römischen Steines lassen sich heute noch folgende Buchstaben lesen:

Übersetzung: Dem Gott Merkur für das Wohl des (P. Ar?)rius Viktor geweiht.

Die Mauern des Schiffs, das anscheinend schon einmal verlängert wurde, schließen oben mit einem gestelzten Rundbogenfries. Auf der Südseite befindet sich an der Mauer ein stark verwaschenes Freskengemälde des großen St. Christophorus. An der Südwestecke befindet sich eine gemalte Sonnenuhr.

Die Kirche wurde 1480 vollendet und geweiht. Das Schiff hat durch den auf der Inschrift der großen Glocke erwähnten großen Brand von 1560 schwer gelitten und zeigt spätere Ausstattung. Das Innere der Kirche ist einfach und nüchtern und hat durch wiederholte Restaurationen, die viel Geld kosteten, ohne dass davon etwas Gutes erhalten blieb, viel verloren. Im Chor wurde die Hauptzierde, die Rippen des Gewölbes, herausgeschlagen.

Von der alten Einrichtung blieb wenig erhalten, die neue Einrichtung ist von recht mittelmäßigem Wert, nur die Kasparbilder bedeuten wirklich einen Schmuck der Kirche. Die Stuckdekoration des Schiffes aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ist ohne Bedeutung, die Deckenmalereien vom Kemptener Hofmaler Koneberg 1768 zeigen, wenn sie auch keine hervorragenden Meisterwerke sind, doch noch den Schwung, die hervorragende technische Fertigkeit und das feine Farbenempfinden, welches die Malergenerationen des 18. Jahrhunderts auszeichnete. Doch vermögen auch sie den nüchternen Eindruck des Kircheninneren nicht zu überwinden, das sich von außen so stattlich darstellt und so fein in das Ortsbild hineingebaut ist.

Die Befestigungsmauer

Die große Befestigungsmauer um die Kirche zeigte das gleiche Aussehen wie die Mauern des Turmes und Chores. Sie war zweistöckig, im unteren Teil etwa 1,65 Meter stark und mit behauenen und unbehauenen Tuffquadern verkleidet. Den Kern bildete Gussmauerwerk aus Rollsteinen. Darüber stand eine etwa 0,65 Meter starke Mauer mit Schießscharten, hinter der ein von den Toreingängen zugänglicher Wehrgang lief. Das Ganze deckte ein nach beiden Seiten abfallendes Ziegeldach.

Die beiden Toreingänge standen nördlich neben dem heutigen Rathaus und südlich neben dem sogenannten Kordonistenhaus1. Sie waren aus dem gleichen Material gebaut wie die Mauer und hatten einen kräftigen, gewölbten Torbogen. Das Kordonistenhaus war die Gendarmeriewache. Es enthielt unten die Schmalzwaage und einen Raum zur Aufbewahrung von Kirchengeräten. Über dem Torbogen war ein Raum für denselben Zweck, der vom Torbogen aus durch eine eiserne Tür zugänglich war.

Auf der anderen Seite des Torbogens (auf der Seite des Kriegerdenkmals) war an der Außenseite der Befestigungsmauer das sogenannte Tuchhaus angebaut, ein Fachwerkbau mit Pultdach, das unten einige Kramläden enthielt und oben einen Raum, in dem an Markttagen Tuch- und Kürschnerwaren verkauft wurden. An der Außenseite des Toreinganges war über dem Bogen der römische Merkuraltar (heute außen am Kirchentor) und rechts und links die beiden Inschriftentafeln (heute über dem Merkuraltar) angebracht.

Neben dem nördlichen Toreingang stand der Heiligenspeicher (für das Zehntgetreide), der auch den großen Raum über dem Torbogen umschloss. Ein Teil des Heiligenspeichers und das westlich anschließende Feuerhaus bildet das heutige Rathaus. An diesem Torbogen befand sich die heute über dem Turmeingang eingemauerte Bauinschrift. Die Mauer wurde 1805-1808 abgebrochen, um Baumaterial zum Wiederaufbau der beim großen Brand von 1804 niedergebrannten Häuser und zum Bau des Knabenschulhauses zuzuweisen.

Im Juli 1811 wurde diese Arbeit mit dem Abgraben des Kirchhofes und dem Einebnen des Kirchplatzes beendet. Stehen blieb nur das Kordonistenhaus und der Teil des Heiligenspeichers, der später zum Rathaus verwendet wurde.

(Fortsetzung folgt.)



Quelle:  Obergünzburger Tagblatt erschienen am 08.01.1920

  1. Kordonist (v. franz. cordon), in Bayern früher s. v. w. Gendarm. ↩︎

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